Springe direkt zu:
Jahrelang sank in Deutschland die Kinderzahl von Frauen – diese Entwicklung ist nach Forschungsergebnissen von Martin Bujard vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) nun gestoppt. Im Gespräch mit uns erläutert der Familienforscher seine Berechnungen und beantwortet die Frage, welche Auswirkungen seine Ergebnisse für den demografischen Wandel in Deutschland haben.
Redaktion Demografieportal: Herr Bujard, die Geburtenrate in Deutschland ist seit Jahrzehnten dauerhaft niedrig. Nun deutet Ihre Forschung auf eine Trendwende hin. Können Sie zunächst einmal erklären, mit welchen Zahlen Sie arbeiten?
Martin Bujard: Wir arbeiten in der neuen Studie mit der endgültigen Kinderzahl eines Frauenjahrgangs. Diese lässt sich in der Regel erst dann feststellen, wenn die Frauen 50 Jahre alt sind. Erst dann werden diese Zahlen offiziell bekanntgegeben. Im Moment haben wir diese Daten bis zum Geburtsjahrgang 1965. Frauen des Jahrgangs 1933, die heute 83 Jahre alt sind, kamen auf die höchste Kinderzahl im 20. Jahrhundert. 2,22 Kinder hatten sie im Durchschnitt. Seitdem ist diese Zahl jedes Jahr kontinuierlich zurückgegangen.
Redaktion: Wie kommen Sie nun zu der Aussage, dass sich eine Trendwende in der Geburtenrate andeutet?
Bujard: Wir haben eine Hochrechnung gemacht, auf deren Basis man ziemlich gut abschätzen kann, wie sich die Geburtenrate für etwas jüngere Jahrgänge entwickelt.
Redaktion: Vereinfacht gesagt: Wie haben Sie das ausgerechnet?
Bujard: Bei unseren Berechnungen beziehen wir uns auf die Gesamtzahl der Kinder, die Frauen eines Jahrgangs in ihrem Leben bekommen. Wir haben hochgerechnet, auf welche endgültige Kinderzahl beispielsweise die heute 40- oder 45-jährigen Frauen kommen. Dadurch konnten wir einen deutlichen Blick in die Zukunft wagen und kommen jetzt schon zu den Befunden, wann diese Trendwende stattfindet.
Redaktion Demografieportal: Und wie kamen Sie zu den Ergebnissen?
Bujard: In unseren Berechnungen bis zu dem Jahrgang 1980, also Frauen, die heute 36 Jahre alt sind, haben wir festgestellt, dass der Rückgang bis zum Jahrgang 1968 weitergeht, dann aber stoppt. Diese Frauen haben im Schnitt nur 1,49 Kinder zur Welt gebracht und markieren den Tiefpunkt im 20. Jahrhundert.
Redaktion: Das heißt, ab dem Jahrgang 1969 geht die endgültige Kinderzahl wieder aufwärts?
Bujard: Genau. Frauen, die in den 1970er Jahren geboren worden sind, haben wieder mehr Kinder. Die Werte des Jahrgangs 1973 sind schon ziemlich sicher mit 1,56 Kindern pro Frau. Frauen, die gegen Mitte und Ende der 1970er geboren wurden, haben sogar 1,6 Kinder. Wir sprechen tatsächlich von einer Trendwende, da die endgültige Kinderzahl 35 Jahre lang nach unten ging und ab diesen Jahrgängen wieder steigt.
Redaktion: Von 1,49 auf 1,56 beziehungsweise 1,6. Das scheinen auf den ersten Blick unbedeutende Nachkommastellen zu sein.
Bujard: Ganz und gar nicht. Dieser Unterschied von 1,49 auf 1,56 entspricht 32.000 Geburten. Das heißt, hätte der Jahrgang 1973 weiterhin eine Geburtenrate von 1,49, dann würde dieser Jahrgang 32.000 Kinder weniger zur Welt bringen. Und in weiteren Jahrgängen wäre es dann pro Jahrgang eine Größenordnung von 30.000 bis 40.000 Kindern, die sonst weniger zur Welt kommen würden – das ist nicht unerheblich.
Redaktion: Wird Deutschland dadurch jünger?
Bujard: Dieser Punkt ist ganz wichtig: Es sind nicht 30.000 Geburten mehr zu erwarten, sondern wenn die Geburtenrate bei 1,49 geblieben wäre, wären es pro Jahrgang über 30.000 Geburten weniger in den Jahrgängen der 1970er Jahre gewesen. Wenn man die Jahre zusammennimmt, sind das mehrere hunderttausend Geburten, die wir sonst weniger hätten.
Redaktion: Was bedeutet die von Ihnen entdeckte Trendwende nun für die demografische Entwicklung? Haben wir wieder mehr Geburten?
Bujard: Insgesamt sind es nicht mehr Geburten, weil die Müttergeneration kleiner wird. Um die Generationen konstant zu halten, müsste eine Frau im Schnitt 2,1 Kinder bekommen. Davon sind wir bei der Kinderzahl von 1,6 noch deutlich entfernt. Wir haben also nach wie vor einen Rückgang der absoluten Geburten. Jede Generation wird weiterhin etwas kleiner werden. Insofern bleibt der grundsätzliche Trend, dass die Bevölkerung Deutschlands älter wird, bestehen. Übrigens auch bei hohen Migrationszahlen.
Redaktion: Wenn es um Geburten geht, wird in den Medien auch immer wieder von der zusammengefassten Geburtenrate gesprochen. Wie aussagekräftig ist diese Kennziffer und was ist der Unterschied zur endgültigen Kinderzahl, die Sie in Ihren Berechnungen verwendet haben?
Bujard: Beide Geburtenraten haben ihre Stärken, sind aber auch sehr unterschiedlich. Wovon wir gerade geredet haben, die endgültige Kinderzahl oder auch Kohortenfertilität, bezieht sich auf die Frauen eines Jahrgangs. Das ist eine relativ klare und einfache Maßzahl, die jeder versteht. Auf 1.000 Frauen des Jahrgangs 1968 kommen 1.490 Kinder. Das lässt sich recht gut erklären.
Redaktion: In den Medien deutlich populärer ist aber die zusammengefasste Geburtenrate. Wenn es heißt, die Geburtenrate des Jahres 2014 liegt bei 1,47 …
Bujard: … dann bezieht sich diese auf alle Geburten innerhalb eines Jahres. Dabei wird zunächst für jedes einzelne Altersjahr zwischen 15 und 49 Jahren berechnet, wie viele Kinder von Müttern dieses Alters geboren wurden und in Relation zur Zahl aller Frauen dieses Alters gesetzt. Die Summe dieser altersspezifischen Geburtenraten ergibt dann die zusammengefasste Geburtenrate. Das ist ein künstlicher Indikator. Zwei Faktoren spielen da rein: erstens, wie viele Kinder werden geboren pro Frau und zweitens, wann werden sie geboren, also in welchem Alter der Frauen.
Redaktion: Wieso spielt das Alter bei der Geburt eine Rolle? Können Sie ein Beispiel nennen?
Bujard: Okay, gerne. Wenn Frauen verschiedener Jahrgänge in ihrem Leben durchschnittlich 1,6 Kinder bekommen, aber das durchschnittliche Alter bei der Geburt steigt, sinkt die zusammengefasste Geburtenrate. Sie sinkt also, obwohl in diesem Beispiel die Frauen gar nicht weniger Kinder bekommen. Da nun in Deutschland das Geburtsalter seit 1980 mit 26 Jahren auf heute etwa 31 Jahre stetig steigt, liegt die zusammengefasste Geburtenrate rund 0,2 niedriger als die endgültige Kinderzahl. Erstere hatte mit 1,24 ihren Tiefpunkt im Jahr 1994, letztere mit 1,49 beim Jahrgang 1968. Die zusammengefasste Geburtenrate ist also schwerer zu interpretieren.
Redaktion: Wieso haben Sie für Ihre Forschung die Kohortenfertilität gewählt?
Bujard: Bei der Kohortenfertilität, also der endgültigen Kinderzahl pro Frau, hat man eine relativ kontinuierlich verlaufende Geburtenrate, auf deren Basis man sehr gut Trends erkennen kann.
Redaktion: Warum wird die zusammengefasste Geburtenrate aber so oft in den Medien genutzt?
Martin Bujard: Sie hat den Vorteil, dass sie sehr aktuell ist und man weiß, was in diesem Jahr passiert. Die andere Geburtenrate wird erst vom Statistischen Bundesamt mitgeteilt, wenn die Geburtenbiografie abgeschlossen ist und dafür müssen die Frauen 50 Jahre alt werden. Dadurch kann sie natürlich nicht besonders aktuell sein.
Redaktion: Stützt die zusammengefasste Geburtenrate Ihre These von einer Trendwende?
Bujard: Zwischen 1975 und 2013 lag die zusammengefasste Geburtenrate zwischen 1,24 und 1,45, also in einem sehr engen Korridor um die 1,3 herum. Für das Jahr 2014 war der Wert 1,47 und ist das erste Mal aus diesem 40-Jahres-Tief herausgekommen. Das spricht auch dafür, dass es eine Trendwende gibt. Allerdings ist es auf Grund dieser Geburtenrate mit ihren methodischen Problemen schwer zu sagen, ob da ein Trend dahinter ist. Aber ja, es bestätigt von der Richtung her schon, was die Kohortenfertilität zeigt.
Redaktion: Zum Schluss noch einmal weg von den Zahlen: Warum glauben Sie, entscheiden sich heute denn wieder mehr Menschen für Kinder?
Martin Bujard: Da gibt es verschiedene Gründe. Ein Grund ist sicherlich der Ausbau der Kinderbetreuung, der in den letzten Jahren doch sehr deutlich stattgefunden hat, gerade in Westdeutschland. Da lag der Anteil der Kinder in Kindertagesbetreuung bei unter 3-Jährigen im Jahr 2007 noch bei unter 10 Prozent, inzwischen hat er sich mehr als verdreifacht. Der internationale Vergleich zeigt, dass der Ausbau der Kinderbetreuung positive Effekte auf die Geburtenraten hat. Dazu kommt die relativ gute Arbeitsmarktsituation. Ein weiterer Grund liegt sicherlich auch in den kulturellen Faktoren, also dass Kinderwünsche insgesamt wieder etwas zugenommen haben. Insgesamt ist es ein Zusammenspiel all dieser Faktoren.
Nutzen Sie gerne die Kommentarfunktion des Blogs, um Dr. Martin Bujard Ihre Fragen zu stellen.
Yvonne Eich und das Redaktionsteam des Demografieportals
Cookies erleichtern die Bereitstellung unserer Dienste. Mit der Nutzung unserer Dienste erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Cookies verwenden. Weitere Informationen zum Datenschutz erhalten Sie über den folgenden Link: Datenschutz
OK